Sonntag, 15. Dezember 2013

Ein ganzer blauer Kosmos

Das Blau entwickelt durch seine Arbeitsweise noch mehr Geheimnis als es ohnehin schon in sich trägt. Blaukontraste treffen auf Flächenkontraste und Formkontraste. Ultramarinpigment und Cyanpigment gehen aufeinander los oder kommen ins Gespräch. Das Blau mal dunkel glänzend sich in die Tiefe des Raumes zurückziehend und dann wieder stumpf schimmernd ultramarinblau den Betrachtenden entgegenspringend. Unterschiedliche Bild-Formate und Bild-Formen treffen aufeinander, ergänzen sich. Giselher Scheicher hat einen ganzen blauen Kosmos und so etwas wie ein ganzes blaues Formenalphabet geschaffen. Blau ist die Farbe der emotionalen Tiefe und Weite, der Angst mich zu verlieren und der unendlichen Freiheit, die Farbe der kühlen Vernunft und der rationalen Schärfe, die Farbe der Treue und die Farbe der Sehnsucht zugleich. „Ins Blaue hinein“ steht für unendliche Möglichkeiten und „das Blaue vom Himmel“ für alle Enttäuschungen. Der Himmel kommt in Scheichers Bildern am Boden an. Auf Wunsch des Künstlers verhältnismäßig tief gehängt kommt der Himmel aber nicht im fröhlichen Sommerhimmelblau am Boden an. Hier kämpft Blau gegen Blau. Hier kämpfen alle Möglichkeiten und alle Enttäuschungen, die gefährliche Tiefe und die weite Freiheit, Gefühl und Vernunft miteinander. Aber im Kampf finden sie zueinander, gehen ineinander über, bilden Kompositionen, fast Lebensgeschichten, Lebensformen aus Einzelteilen sich zusammensetzend. Die Versöhnung eines ständigen Kampfes kündigt sich an. Blau ist nicht zuletzt auch die Farbe der Transzendenz, der Mystik. Scheichers Bilder bleiben für alle Deutungen offen. Er provoziert Assoziationen, ohne sie festzuschreiben oder zu verallgemeinern oder zu verabsolutieren.

©2007 Daniel Szemerédy,
Dekanatsbeauftragter für Gegenwartskunst