"(...) „Wunder gibt es immer wieder“, sagt man, und das gilt auch für die „Blauen Wunder“ des Künstlers Giselher Scheicher, wenn Sie mir dieses Wortspiel erlauben. Schon 2011 konnten wir in unserer Spitalkirche das „Opus A“ des Künstlers präsentieren, für das er mit dem Argula-von Grumbach_Preis ausgezeichnet wurde. 2013 schuf er zusammen mit Andrea Thema die Installation mit dem Titel „Dem Himmel so nah“ in unserem Kirchendach. Nunmehr sind die symbolmächtigen blauen Scheiben gleichsam in den Innenraum der Kirche herabgestiegen, wobei der Bezug auf den Himmel oder das Transzendente als Konstante erkennbar wird.
Wir sehen das Werk an zentraler Stelle des Kirchenraums im
liturgischen und architektonischen Sinn: In der Mitte des Chorraums unserer
Spitalkirche zum Heiligen Geist, und direkt unter dem krönenden Schlussstein
des Gewölbes, der nicht eigentlich ein Stein, sondern ein Ring ist. Solche
Schlussringe gab es in spätmittelalterlichen Kirchen häufig, und sie werden
entsprechend ihrer liturgischen Funktion als Heilig-Geist-Loch, Pfingstloch
oder Himmelsloch bezeichnet. Die letztere Bezeichnung weist daraufhin, dass ihr
Gebrauch nicht auf das Pfingstfest beschränkt war.
Dass das Chorgewölbe den Himmel symbolisiert wird schon in
den Goldmosaiken der byzantinischen Kirche deutlich. Im 13. Jahrhundert finden
wir in Kirchen der römisch-katholischen Welt Gewölbe, die mit blauer Farbe und
goldenen Sternen für uns noch viel deutlicher den Himmel assoziieren. Der
Himmel der sichtbaren Welt steht für das Reich des Ewigen. Berühmte Beispiele
sind San Francesco in Assisi und die Sainte-Chapelle in Paris. Dass auch dies
den Sehgewohnheiten und dem Bildverständnis der folgenden Jahrhunderte nicht
mehr genügte, bemerkt Johannes Tripps in seinem Werk „Das handelnde Bildwerk in der Gotik“: So wurde das Verlangen immer
stärker, „das Heilsgeschehen mittels Figuren und Andachtsbildern ins
Leichtbegreifbare umzusetzen“. Damals entstanden die „Himmelslöcher“, auch das
in unserer Kirche. „An hohen Feiertagen“, so Tripps, „stiegen die himmlischen
Wesen hinab und hinauf, während auf dem Lettner das Heiltum zu sehen war und
gesungen wurde. Noch weiter ließ sich die himmlische Pracht auf Erden nicht steigern.
Die Gemeinde sieht des Paradieses Herrlichkeit bereits im Diesseits.“ In dieser
Weise inszeniert wurde vor allem Mariä Himmelfahrt, Christi Himmelfahrt und
natürlich die Ausgießung des Geistes an Pfingsten.
Vor allem auf dieses Geschehen des Herabkommens,
Herabströmens scheint sich Scheicher mit dem Titel „De superiore loco“ zu
beziehen. „De superiore loco“, deutsch „Vom höheren Ort herab“ kann im
Doppelsinn des Räumlichen und des Geistigen oder Geistlichen verstanden werden,
als das was oben, z. B. im Kirchengewölbe, ist und als das Höhere, das unser
Wissen und Verstehen übertrifft, die Transzendenz, das Ewige.
Diese doppelte Vorstellung,
wie im deutschen Wort Himmel (anders als im Englischen, wo man Heaven
von Sky sehr wohl trennen kann) begegnet uns auch im Pfingstgeschehen aus der
Apostelgeschichte. Der Heilige Geist wird von Jesus Christus gesandt, und zwar
aus seines Vaters Reich, wohin er „durch die Rechte Gottes erhöht ist“ (Apg.
2,33), aber räumlich wird die Ausgießung des Geistes auch erfahren als ein
„Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes“ (Apg. 2,2).
Das Kommen des Geistes ist zuerst sinnliche Erfahrung durch
die Elemente der bewegten Luft (hebr. ruah, griech. pneuma bedeuten „Wehen,
„Hauch“) und des Feuers, das zu entflammen und im übertragenen Sinn zu
begeistern vermag. Danach bricht der Geist aus dem Inneren der Jünger heraus im
Reden in anderen Zungen und schließlich in der großen Pfingstpredigt des
Petrus.
Auf das sinnlich Erfahrbare setzt dann auch die bildende
Kunst im Lauf der Jahrhunderte: Statt des Windes verwendet sie meist die
schwebende Taube (ausgehend von der Evangeliumsgeschichte der Taufe Jesu. Das
Feuer stellt sie als Flämmchen auf den Häuptern der Jünger da. Früher hätten
sie ein solches Bild des Pfingstgeschehens auch hier in der Kirche als
Hauptaltar sehen können. Er kam 1949 in die Kirche von Ulsenheim, wo er heute
noch steht.
Die gleichen Symbole wurden für die Inszenierungen im
Kirchenraum verwendet. Aus dem Heilig-Geist-Loch entließ man eine lebende Taube
in den Kirchenraum, oder man ließ eine hölzerne an einer Schnur herab. Es
konnte aber auch brennendes Werg herab geworfen werden (freilich aus
Sicherheitsgründen von Wasser gefolgt). Verstärkt wurde die Botschaft der
Inszenierung manchmal noch durch das Herabkommen des „Himmelsbrotes“ in Gestalt
eines Oblatenregens „de superiore loco“.
Diese Inszenierungen fanden in einer rationaleren und
weniger in Schauspiele verliebten Zeit fast überall ihr Ende: bei den
Evangelischen schon mit der Reformation, bei den Katholischen spätestens mit
der Aufklärung.
Doch die Bemühungen der Kunst, mit Bildern und Symbolen die
Sinne anzusprechen und das Unsagbare zu sagen, ging weiter.
Auch Giselher Scheichers Werk, das wir heute vorstellen,
kann als ein Glied in dieser Kette verstanden werden. Mit der Anbringung am
mittelalterlichen Heilig-Geist-Loch knüpft er an die liturgische Tradition an.
Sein Medium ist nicht Luft oder Feuer, Taube oder Brot, sondern das
transparente oder opake, plastisch belebte Blau der Rechtecke, die aus dem
Himmelsloch herabzukommen scheinen. Sie verweisen, wie die früher hier
gezeigten Installationen unverkennbar auf
Transzendentes, ohne den Betrachter festzulegen. Die zwölf Objekte, man
kann an die Zahl der Apostel der Pfingstgeschichte denken, oder an die Heilige
Zahl der Begegnung mit der Gottheit, steigen wie Fragmente des Himmels „vom
höheren Ort“ herunter in den Kirchenraum. Drückt der Künstler hier in der ihm
eigenen Bildsprache das Kommen des Geistes aus?
Zugleich drängt sich das Bild der Leiter auf. Lädt sie
unsere Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte ein, hinaufzusteigen oder stellt sie
wie in Jakobs Traum im Alten Testament einen Brückenschlag zwischen Himmel und
Erde her? Die Sprache der Kunst ist vieldeutig und vielstimmig. Jeder von uns
kann seine eigenen Erfahrungen und Assoziationen einbringen.
Dazu lädt diese Installation uns hier und heute und die
Besucher unseres Museums Kirche in Franken in den nächsten Wochen ein. Für
manche wird sie vor allem Überraschung, für andere Herausforderung oder Inspiration
bedeuten. Dem Künstler haben wir herzlich dafür zu danken, dass er eine solche
Bewegung in unser altes Gotteshaus bringt. Möge das Werk für viele Besucher ein
„Blaues Wunder“ im besten Sinne sein! (...)"